Blogger gegen Rechts: Wir müssen endlich über Politik sprechen

Disclaimer: Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 27. August 2017 auf Pink & Green und wurde für die Aktion „Blogger gegen Rechts“ durch ein Vorwort aktualisiert.

Vom 24.09. bis zum 10.10. machen wir die Blogosphäre ein klein wenig politischer – jeden Tag erscheint ein Artikel von Mitgliedern der von den Fashion Changers initiierten „Blogger gegen Rechts“-Facebookgruppe. Wer alles dabei ist, erfahrt ihr am Ende des Artikels. Setzt euch ein, seid laut, rückt zusammen – wenn nicht jetzt, wann dann?

Vorwort, September 2018:

Als wir Ende August mit dem Auto durch Virginia, Maryland, Pennsylvania, New Jersey und New York fuhren, waren die Fahnen fast überall auf Halbmast. „Und das alles für einen Senator?“, fragte ich meinen Freund. Alle Zeitungen schrieben über den Tod von John McCain, republikanischer Senator von Arizona und 2009 Kandidat für das Präsidentenamt. Zuletzt machte der Kriegsveteran durch seine offenkundige Ablehnung von Präsident Trumps Politik von sich reden – dem Tode geweiht stimmte er gegen die Abschaffung vom Obamas Gesundheitsreform im Kongress. Bis ins Detail plante er seine Beerdigung. Trump durfte nicht kommen. Dafür sprach Obama, einst Hoffnungsträger eines neuen Amerikas – vielleicht sogar einer neuen Welt. Die USA sind gespaltener denn je – deshalb ist es umso wichtiger, wenn sich Republikaner und Demokraten überparteilich vor eine Politik stellen, die sich von der Welt abschotten will, die Ängste und Hass schürt, die Menschen ausgrenzt. Und da saß ich nun in den USA, grübelte über das gespaltene Amerika, als mir auf Seite 2 der New York Times das Wort „Chemnitz“ entgegenschlug. „Have you heard about what is happening in Schemnit? “, wurde ich gefragt. Ja, das habe ich. In der New York Times. Weil der gewaltsame Tod eines Mannes in Chemnitz und die Instrumentalisierung dieser Gewalttat durch die rechte Szene uns als Gesellschaft weltweit spaltet. Die Politik inbegriffen.

Ich bin in einer vorstädtischen Gegend aufgewachsen. Die Häuser in der Siedlung sehen vom Kern her alle identisch aus, denn sie wurden nach dem Krieg gemeinsam gebaut. Die Gärten hatten Verbindungszäune. Als Kinder haben wir haben auf den Straßen gespielt und sind von Garten zu Garten gerannt. Es gab keine Ausländer in unserer Straße, zumindest sahen alle weiß aus. In der Schule und unmittelbaren Nachbarschaft war das anders. Ich hatte ein paar Freunde, deren Eltern und Großeltern nur gebrochen oder gar kein Deutsch sprachen. Meine Oma hat den 2. Weltkrieg miterlebt – auf dem elterlichen Bauernhof waren polnische ZwangsarbeiterInnen. Nur hat meine Oma das nie so benannt. Der Krieg, das war eine Zeit, über die man einfach nicht gesprochen hat. Aber die Erinnerungen daran und die Ideologie, das war etwas, was ich als Teenager stark gespürt habe. Ausländer würden „uns“ die Arbeit wegnehmen. Ausländer mähen ihren Rasen nicht ordentlich. Mit Ausländern waren übrigens nicht alle Ausländer gemeint, sondern nur diejenigen, die auch so aussehen. Ich hatte französische Freundinnen, habe einen US-amerikanischen Freund – ein Teil unserer Familie lebt sogar in den USA. Sie waren nicht gemeint. Es gab eine Phase, da konnte ich mit meiner Oma nicht zwei Sätze sprechen, ohne eine Grundsatzdiskussion anzufangen, die im bitteren Streit endete. Das ist nun fast 15 Jahre her. Wir tendieren im Nachhinein dazu, Dinge zu verharmlosen. Doch es gibt nichts schön zu reden – ich habe viele Menschen um mich herum, fremdenfeindliche Dinge sagen hören. Das hat mich geprägt. Und wenn ich mir meinen Blogbeitrag, den ich kurz vor der Bundestagswahl 2017 geschrieben habe, nochmals durchlese, macht es mich unglaublich traurig, wütend und auch etwas ratlos, wie schnell es noch schlimmer werden konnte. Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag, höre ich das, was ich früher vor vorgehaltener Hand oder im privaten Raum gehört habe, offen auf den Straßen. Menschen, die Frauen mit Hijabs auffordern, ihr Kopftuch abzunehmen, und Andersaussehende beleidigen. „Besorgte BürgerInnen“, die ihr Deutschland zurückhaben wollen. Auf einmal trauen sich Menschen, das zu sagen, was rechte Parteien ihnen vorsagen. Und wir? Die Zynikerin in mir möchte sagen, dass die meisten von uns immer noch lieber vor dem Fernseher sitzen bleiben als auf die Straße zu gehen, oder dass wir ein Konzert brauchen, um endlich für unsere Werte einzustehen. Aber Zynismus bringt uns nicht voran. Wir müssen einschreiten und unsere Stimme erheben, wenn wir rassistische Äußerungen hören.

Als meine Fashion Changers-Mitgründerinnen Jana und Vreni die Idee hatten, eine „Blogger gegen Rechts“-Gruppe zu gründen, saß ich noch in den USA. Und ich war froh, dass wir uns alle darüber einig sind, dass wir mehr sind als nur Fashion. Dass wir unsere Stimme nutzen, um für Vielfalt und Toleranz einzustehen. Auch wenn es bequemer wäre, einfach nur Netflix zu schauen.

27. August 2017:

Das ist kein politisches Blog. Und irgendwie doch. Über nachhaltige und faire Mode zu bloggen, ist immer auch politisch. Zumindest für mich. Ich kann nicht über endliche Ressourcen, Überproduktion und unmenschliche Arbeitsbedingungen sprechen und nicht nicht politisch sein. Politisch zu sein, bedeutet für mich nichts anderes, als für meine Werte einzustehen. Das kann sich dann auch im Kleinen ausdrücken: Stoffbeutel statt Plastiktüte. Oder es kann Teil der Lebensweise sein, wie keine tierischen Produkte zu essen und unsere Zeit so gut wie möglich konsumfrei zu gestalten. Und natürlich ist auch mein Selbstverständnis als Feministin politischer Ausdruck. Auch wenn diese Werte oder Lebensformen – Nachhaltigkeit, Veganismus, Minimalismus, Feminismus – erstmal privat stattfinden, so sind sie doch auch politisch. Das Private ist politisch, um es mit Simone de Beauvoirs Worten zu sagen. Wenn das Private also politisch ist, wie kommt es dann, dass wir so wenig über Politik sprechen?

Statt über das zu sprechen, was uns umgibt, sprechen wir lieber über die neue Staffel House of Cards. Bitte nicht falsch verstehen: Ich schaue auch HoC und spreche liebend gerne darüber, vor allen Dingen, wenn Fiktion auf einmal Realität wird und die Underwoods die Welteroberung plotten. Trotzdem muss ich an dieser Stelle die Spielverderberin sein, denn ein Blick auf die aktuellen Weltgeschehnisse verrät: Unsere Welt versinkt im Chaos. Im menschengemachten Chaos. Um uns herum passieren Dinge, die unser Wertesystem bedrohen. Und wir? Wir gehen lieber shoppen. Das ist jetzt natürlich etwas plakativ formuliert – und um es gleich vorweg zu nehmen: Ich gehe auch shoppen -, aber irgendwie auch beispielhaft für das, was ich um mich herum beobachte. Wir lenken uns mit Dingen ab, um uns nicht mit uns selbst beschäftigen zu müssen. Wer sind wir, wenn wir nicht Klamotten kaufen, nicht im Fitnessstudio schwitzen oder Serien schauen? Für was stehen wir? Und für was stehen wir ein? Wenn wir es schaffen, diese Fragen für uns zu beantworten, dann können wir doch gar nicht mehr nicht nicht politisch sein.

Und doch sieht die Realität eher so aus, dass wir viele Dinge schulterzuckend hinnehmen und erst dann aufschrecken, wenn politische Entscheidungen direkte Auswirkungen auf unser Leben haben. Oder wie kommt es, dass wir erst dann auf die Straße gehen, wenn Donald Trump beschließt, aus dem Klimaabkommen auszutreten (mich eingeschlossen, siehe Bilder) und Transmenschen aus dem Militär ausschließt? Angesichts unserer gesellschaftlichen Herausforderungen, finde ich es umso verwunderlicher, dass der Wahlkampf in Deutschland uns gefühlt null tangiert. Hat Politik so wenig mit unserem Privaten zu tun, dass wir deshalb kaum darüber sprechen? Oder weil wir uns ohnehin machtlos und ohnmächtig inmitten eines undurchschaubaren politischen Systems fühlen?

Aber wenn sich Ohnmacht in Passivität ausdrückt und wir nicht mehr über das sprechen können, was uns bewegt, dann ist das gefährlich. Klar, Sprache verfehlt uns oft (oder umgekehrt) und kann das, was in uns vorgeht, häufig nur floskelhaft zum Ausdruck bringen. Dann sprechen wir also lieber gar nicht über die türkische Regierung, die vor unseren Augen die Opposition nach und nach von der politischen Landkarte schiebt. Oder über den Aufstieg weißer Nationalisten in den USA, die sich durch Trump legitimiert sehen, sich ihr Land zurückzunehmen. Oder darüber, was wir tun können, damit die AFD nicht in den Bundestag einzieht. Klappe halten und Keeping up with the Kardashians gucken. Eskapismus gone bad.

Nicht nur privat, auch beruflich kommt mir Politik oft zu kurz. Klar verstehe ich, dass der einzige Weg, Fair Fashion in den Mainstream einzugliedern, über das Produkt geht, und nicht über das Aufmerksammachen auf ökologische und soziale Missstände in der Industrie. Trotzdem wünschte ich mir, dass auch die (nachhaltige) Modebranche hier und da aktivistischer agiert. Umso mehr habe ich mich gefreut, als meine Bloggerkolleginnen Jana und Vreni mir erzählten, dass sie in ihrer ersten Podcastfolge von Gern Geschehen! über Politik sprechen (hier geht es zur Folge „Die CDU ist wie Eierlikör – zäh und klebrig“). Allein die Tatsache, dass sie es einfach machen, obwohl es so nicht fashionable ist, finde ich großartig. Denn wir müssen endlich über Politik reden. Egal wie. Und wenn es am Ende dazu führt, dass wir alle eine Partei mit einem Getränk in Verbindung bringen können, dann ist das schon mal ein erster Schritt und verrät doch auch das ein oder andere über unser Verhältnis zu den Parteien…und vielleicht auch über uns. Mich erinnern die Grünen übrigens an einen bitter schmeckenden grünen Smoothie und die FDP an einen schalen Sekt.

P.S. Und auch wenn es sich banal anhört: Geht wählen. Am 24. September ist Bundestagswahl. Nicht zu wählen, ist keine Option.

Diese BloggerInnen veröffentlichen in den nächsten Wochen #BloggergegenRechts-Beiträge – bitte teilt die Artikel, damit wir gemeinsam was bewegen können:

Alf-Tobias Zahn von Grossvrtig
Laura Mitulla von The Ognc
Jenni Hauwehde von Mehr Als Grünzeug
Bina Nöhr von Stryletz
Vreni Jäckle von Jäckle & Hösle
Maren Teichert von Minza Will Sommer
Ester Rühe und Anna Kessel von Die Konsumentin
Ann Cathrin Schönrock von Fashion Fika
Phoebe Nicette von Phoenomenal
Franziska Schmid von Veggie Love
Johanna Misfeldt von Mintundmeer
Justine Siegler von Justine Kept Calm And Went Vegan
Mia Marjanovic von heylilahey
Peppermynta Mag
Sophia Hoffmann, vegane Köchin und Bloggerin
Jana Braumüller von Not Another Woman Mag
Magdalena Muttenthaler von Free Minded Folks

Fotocredits Headerbild:
Alf-Tobias Zahn, fotografiert von © René Zieger
Phoebe Nicette, fotografiert von © Lydia Hersberger
Vreni Jäckle, fotografiert von © Anna Steinert
Franziska Schmid, fotografiert von © Grit Siwonia

5 Gedanken zu „Blogger gegen Rechts: Wir müssen endlich über Politik sprechen“

  1. „Wer sind wir, wenn wir nicht Klamotten kaufen, nicht im Fitnessstudio schwitzen oder Serien schauen?“

    Damit hast du es ziemlich gut auf den Punkt gebracht. Selbstoptimierung kommt noch dazu, aber wirklich politische Diskussionen werden viel zu selten geführt.
    Allerdings bemerke ich in meinem engeren Freundeskreis ein Aufwachen seit dem letzten Jahr und es wird häufiger und intensiver über Politik gesprochen. Das hat zwar viel zu lange gedauert, aber ich bin froh, dass es endlich passiert und auch auf Blogs wie deinem die Wichtigkeit von Politik betont wird!
    Alles Liebe

    1. Danke für deinen Kommentar, liebe Saskia. Eine politische Haltung zu entwickeln, kann ja auch eine Form von Selbstoptimierung sein. Nur kommt das von innen heraus und strahlt hoffentlich nach außen. Aber oft muss ich leider (auch bei mir selbst hin und wieder) feststellen, dass wir es mit dem Eskapismus (damit meine ich äußere Ablenkungen) übertreiben und damit auch tiefgehenden Gesprächen aus dem Weg gehen, wie z.B. über Politik. Umso schöner, von dir zu lesen, dass in deinem Freundeskreis darüber gesprochen wird – rock on! Ganz liebe Grüße von Nina

  2. Du hast absolut die richtigen und treffenden Worte gefunden und ich habe so gerne bis zum Ende jedes Wort gelesen. Ich glaube, dass wir selbst unsere Gesellschaft formen können und müssen. Also lasst uns über die wichtigen und politischen Dinge mehr reden. Danke für deinen tollen Post!
    Liebst, Bina

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