Slow Sunday: Über die intolerante Veganerin und Ökobloggerin in mir

 

Hinter mir liegt ein dreiwöchiger Urlaub in den USA. Wer mir auf Instagram folgt, hat vielleicht die ein oder andere Story gesehen (wenn nicht: Ich habe sie in meinen Highlights gespeichert). Dort seht ihr eine Mischung aus Strand-, Wander- und Stadturlaub. Wenn ich mir die Bilder nochmal anschaue, wird mir warm ums Herz: Weil sie mich an schöne Momente erinnern. Wie wir mitten in der Nacht mit dem Auto durch Manhattan fahren und ich Gänsehaut bekomme, weil diese Stadt immer noch eine gewisse Magie auf mich ausübt. Wie ich im Stone King’s Art Center in New York auf einer Wiese in die Luft springe und ein Schmetterling durchs Bild fliegt – totales Instagram-Klischee, aber für mich ein ehrlicher Moment, weil ich an dem Tag mehrmals voller Demut und Dankbarkeit vor der uns umgebenden Landschaft war. Wie ich im Lotussitz auf einer Sandbank mitten im Atlantischen Ozean sitze – obwohl im Wissen fotografiert zu werden, ein aufrichtiger Moment, weil Wasser mir innere Ruhe und eine tiefe Verbundenheit schenkt; nirgendwo bin ich so bei mir wie im Wasser. Es gab so viele Momente, in denen ich ganz bei mir war, unendlich dankbar dafür, mich echt zu fühlen. Und gleichzeitig habe ich mich in vielen Momenten so verletztlich wie noch nie gefühlt und bin oft an meine Grenzen gestoßen.

So haben mich unsere Tageswanderungen oft an den Rand meiner mentalen Kraft gebracht, weil meine Angst immer mitgelaufen ist. Wir waren in Wandergebieten unterwegs, wo die Wege sehr felsig und eng und Schlangen beheimatet sind – Dinge, bei denen mein Verstand trotz atemberaubender Natur manchmal aussetzt. Auf Instagram habe ich für mich so gut wie möglich versucht, Bilder und Text auszuwählen, die mich zurück zu diesem bestimmten Gefühl bringen. Nur habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass da außer Dankbarkeit und Angst noch andere Gefühle in mir wabern, die ich selbst nur schwer greifen konnte und die sich erst nach und nach für mich verdeutlichten. Wenn ich jetzt meine Tagebuchnotizen durchlese (ich habe versucht, hier und da für mich Momente aufzuschreiben), dann fallen sie mir auf: Die Sätze, in denen so was wie Wut, Unverständnis und Intoleranz mitschwingen. Und zwar immer dann, wenn es um meine Werte geht. Ich wusste, dass ich den drei Wochen meine behütete „vegane Nachhaltigkeitsblase“ verlassen werde – und wollte das auch ein Stück weit. Immerhin ist so ein Realitätscheck genau das, was wir brauchen, um wirkliche systemische Veränderungen voranzubringen. Aber auf das, was kommen sollte, war ich nicht wirklich vorbereitet.

Mir ist es wichtig, so bewusst wie möglich zu leben. So nachhaltig wie möglich, so vegan wie möglich (dass ich ein Mal im Jahr fliege, ist etwas, was ich trotz nachhaltigem Lifestyle mache, und was man auch berechtigerweise kritisieren kann). Das ist für mich nicht anstrengend, aber für andere um mich herum mitunter schon. Ich sage halt öfter „Nein, danke“ (glaubt mir, ich wünschte es wäre anders). Und mir war klar, dass ich das während unserer Reise entlang der US-Ostküste wahrscheinlich häufiger sagen würde. Und so war es auch. Ich musste immer wieder den Unterschied zwischen „vegetarisch“ und „vegan“ erklären, genau nachfragen und auch oft Dinge ablehnen, um dann am Ende mal wieder nur eine Quinoa-Bowl zu essen. Ich habe kein Problem damit, meinen Lifestyle zu erklären und hin und wieder auch zu verteidigen. Und der außen entstehende Eindruck des Verzichts fühlt sich für mich nicht negativ an – ich bejahe ja einen Lebensstil, der sich für mich richtig anfühlt. Und wenn es wirklich nicht anders geht oder ich vielleicht mal etwas anderes essen möchte, dann überlege ich mir: Ist es das jetzt für mich wert? Und dann esse ich auch mal Pancakes oder ein Käsebrot. Das mag für viele widersprüchlich und heuchlerisch sein, für mich ist es vollkommen in Ordnung, solange ich Entscheidungen bewusst treffe.

Ich bin es gewohnt, von Menschen umgeben zu sein, die Fleisch essen. Ich habe außerhalb der Blogosphäre keine Freunde, die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Wenn mich das stören würde, müsste ich die meiste Zeit alleine essen. Dabei betonen aber die meisten, dass sie nur Bio-Fleisch essen würden. Nun gut, ich habe aufgehört, mitzuzählen, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Umso überraschter war ich, dass dieses entschuldigende und rechtfertigende Verhalten beim Essen in den USA komplett ausblieb. Dort erlebte ich jedes Mal lustvolle Unterhaltungen über das Fleisch auf dem Teller. Auch wenn wir uns vorher noch über das menschenverursachte Walsterben vor der atlantischen Küste unterhielten (fürs Protkoll: Ich habe dieses Gespräch nicht angefangen), tat das der Lust am Fleisch keinen Abbruch. Und so hörte ich vielen Unterhaltungen zu, in denen eine gefühlte Ewigkeit Erinnerungen über die besten kulinarischen Fleischerlebnisse ausgetauscht wurden. Kein „Aber eigentlich esse ich nicht so viel Fleisch“, kein „wir essen alle zu viel Fleisch“. Und ich oft mittendrin. Schweigend. Wohlmerkend wie meine Toleranzgrenze aufweicht. Wie ich mit mir kämpfe: Soll ich ungefragt was sagen und riskieren, dass ich dann auch eine dieser intoleranten Veganerinnen bin, die man nicht am Tisch haben möchte? Oder soll ich einfach schweigend daneben sitzen und darauf warten, dass wir bald über was anderes sprechen können? Zum Beispiel über den Müll! Da sprechen wir die ganze Zeit über die plastiküberfluteten Ozeane und vermüllten Strände in Entwicklungsländern, während wir selbst aus Bequemlichkeit von Einweggeschirr essen und sich die Müllsäcke auf dem Bürgersteig so hochstapeln, dass ich die andere Straßenseite schon gar nicht mehr sehen kann. Na ja, immer schön ruhig bleiben und lächeln. Schließlich habe ich ja auch oft zu Einwegverpackungen gegriffen. Oft, weil es nichts anderes gab. Aber auch oft, weil ich nicht drei Wochen lang selbst belegte Bagels essen wollte und weil Nachhaltigkeit für mich nicht das Gegenteil von Hedonismus ist. Nicht sehr konsequent, vielleicht auch etwas heuchlerisch, aber eben auch menschlich.

Und trotzdem hatte ich irgendwann wenig Geduld für das inkonsequente und ignorante Verhalten von Anderen. Einmal ist bei mir die Sicherung durchgebrannt. Ich wurde laut, habe geweint. Es wurde unschön. Offensichtlich habe ich bis dahin gar nicht gemerkt, dass bei mir schon seit Tagen eine Grenze überschritten wurde. Und dann entlud sich die ganze Anspannung in einer großen Markthalle in Philadelphia, in der es nur einen klitzekleinen veganen Stand gab, umringt von gefühlt 50 Junkfood-Ständen mit „Cheese Steaks“. Da war sie, die intolerante Veganerin, die anderen nicht ihren Spaß am Essen gönnt. Und auch wenn ich im Nachhinein nicht mehr alles genauso sagen würde, bin ich doch froh, dass ich ihr mal kurz Raum gegeben habe, sich zu Wort zu melden. Und möchte auch versuchen, das künftig stärker online und offline zu machen. Wenn ich mit anderen BloggerInnen über Nachhaltigkeitsthemen sprechen, herrscht in der Regel Konsens: Niemals den berühmten Zeigefinger heben, lieber zeigen, wie cool das alles ist mit diesem Verzicht. You know what? Manchmal ist mir das einfach zu anstrengend. Immer nur Dinge wegzulächeln, ist ab einem gewissen Punkt für mich persönlich nicht mehr okay. Wie genau ich damit zukünftig umgehe (laut werden und weinen ist da wohl eher nicht die Lösung), weiß ich noch nicht.

Zurück in Berlin greife ich zu „Eating Animals“ von Jonathan Safran Foer, das ich bereits vor vielen Jahren gelesen habe und das für mich so vieles verändert hat. Ich stolpere über diesen Satz:

„If nothing matters, there is nothing to save.“

Für mich könnte nicht mehr Wahrheit in diesen Worten stecken. Und auch wenn wir nicht alles perfekt machen können, so sollten wir es doch wenigstens versuchen. Dazu gehört für mich auch, mal die eigene Stimme zu erheben. Egal, ob es um Ernährung, Müll, Mode, Politik oder anderes geht. Für das einzustehen, was mir wichtig ist. Und dann bin ich auch gerne hin und wieder die intolerante Veganerin, die noch vor ein paar Wochen ein Käsebrot gegessen hat. Oder die nervige Ökobloggerin, die bei 35 Grad einen Eistee im Einwegbecher mit Plastikstrohhalm getrunken hat. Toleranz geht in beide Richtungen – für sich selbst und andere. Aber es ist in Ordnung zu kommunizieren, wenn diese Grenzen überschritten werden. Und dafür sollten wir uns mehr Raum geben. Geht bestimmt auch gepaart mit einem kleinen Lächeln.

Nachtrag: Jenni von Mehr als Grünzeug hatte am Sonntag einen ähnlichen Gedanken wie ich und nimmt in ihrem wunderbaren Artikel „…und  irgendwie ist es doch nicht deine Entscheidung, wie du lebst“ das Denkmuster von den VerdrängungskünstlerInnen unter uns auseinander. Absolute Leseempfehlung!

 

8 Gedanken zu „Slow Sunday: Über die intolerante Veganerin und Ökobloggerin in mir“

  1. Toller Text! Du sprichst denk ich viel ungesagtes aus und vor allem Dinge für die man schnell angeprangert wird wenn man dann eben auch mal die intolerante ist aber im anderen Moment auch menschlich und fehlerhaft..

  2. Liebe Nina,
    ein großartiger und vor allem super-ehrlicher Text, der auf jeden Fall zum Nachdenken anregt.
    Ich finde diesen Spagat zwischen Aufklärung, Meckern und Trotzdem-ein-gutes-Leben-Zeigen auch einigermaßen schwierig und komme mir selbst immer wieder nervig vor, wenn ich zum dreidutzendsten Male meine Gedanken darüber poste.
    Auf der anderen Seite merke ich, dass genau daran auch Bedarf besteht.
    Es gibt viele Menschen, die mittlerweile ähnlich denken oder sich zumindest mit diesen Themen in irgendeiner Art beschäftigen.
    Und es ist gut und total okay, auch mal auf den Mist hinzuweisen, der da vor sich geht. Nicht nur das – ich denke, das ist notwendig (und vielleicht auch irgendwo unsere Aufgabe, ich weiß es nicht genau).
    Von daher: Ich freu mich auf das, was kommt!

    Liebe Grüße an dich!
    Jenni

    1. Liebe Jenni, danke für deinen Kommentar. Da scheint uns ja dieselbe Frage herumzutreiben. Dein Artikel ist super (ich habe ihn gleich mal nachträglich im Post verlinkt). Ich muss zugeben, dass mir sogar schon beim Artikelschreiben aufgefallen ist, wie ich mich hinterher etwas selbstzensiert habe, wenn es – wie du so schön schreibst – um die nahezu bewunderungswürdig stark ausgeprägte Verdrängungsleistung von anderen geht. Ich erlebe es oft, dass meine „hey-ist-doch-alles-gar-nicht-so-schwierig-mit-der-Nachhaltigkeit“-Attitude bei den meisten komplett abprallt. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier jemand von selbst bemerkt, dass wir selbst Dinge verändern können, geht gleich null. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das frustriert. Und deswegen denke ich, dass wir manchmal einfach direkter sein sollten. xo Nina

  3. Toller Text, vorgestern in Serbien mit meiner Familie konnte ich auch nicht mehr ruhig bleiben. Habe alles gesagt was ich sagen wollte, was ich schon seit langer Zeit sagen wollte. Und ich „verbessere“ mittlerweile wenn Leute sagen „wir haben nur ‚normale‘ Milch“ – und dann frage ich was für eine Milch, Kuhmilch etc. so Kleinigkeiten einfach die mich nerven spreche ich immer öfter an.

    1. Liebe Mia, danke dir. Und denkst du, dass deine direkte Art was bewirken könnte? Viele sind ja davon überzeugt, dass es nichts bringt, den Finger zu erheben, aber ich bin mir da inzwischen nicht mehr so sicher, ob wir gut damit fahren, wenn wir immer nur weiter unser Ding machen. Gutes Beispiel mit der normalen Milch. Ich kenne auch viele Leute, die nach meiner Bestellung sagen „für mich einfach normal, bitte“. I mean, who wants to be normal anyway?! Liebe Grüße von Nina

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