Slow Sunday: This is no retail therapy

Einige von euch wundern sich vielleicht, wieso ich hier nicht regelmäßiger poste – immerhin habe ich ja jetzt keinen 9 to 5-Bürojob mehr, der mich vom Bloggen abhält. Nun gut, die Idee hinter diesem Blog war nie einen Artikel nach dem anderen rauszuhauen, sondern dann zu schreiben, wenn ich mich danach fühle und wenn ich etwas habe, worüber ich wirklich schreiben möchte. Das hat bisher mal mehr, mal weniger gut geklappt. All das spricht mehr als dagegen, eine neue Kategorie ins Leben zu rufen, die ich mal wieder nicht regelmäßig bespielen kann. Und trotzdem mache ich es, einfach weil das mein Blog ist und ich es kann. Wir müssen es ja nicht gleich Kategorie nennen. Verständigen wir uns darauf, dass ich dieses Blog, insofern die Inspiration kommt, zukünftig auch für Artikel nutzen möchte, die kein bestimmtes Produkt oder Modelabel in den Vordergrund stellen, sondern einfach nur für Dinge, die mich beschäftigen. Gedanken, die nicht unbedingt zu Ende gedacht sind. Fragen, auf die ich auch keine one-fits-all-Lösung habe. Wer ist dabei?

Was mich diese Woche zum Nachdenken gebracht hat, ist die neue Greenpeace-Studie über unser Modekonsumverhalten mit dem schönen Titel „After the Binge, the Hangover“. Die guten Nachrichten: Man muss sich nicht eingängig mit dem Thema beschäftigt haben, um den 13-seitigen englischsprachigen Report nachvollziehen zu können – hier geht es zum kostenlosen Download. Zum Hintergrund: Greenpeace hat im Zeitraum von Dezember 2016 bis März 2017 jeweils circa 1.000 Verbraucher in Deutschland, Italien, Festlandchina, Hongkong und Taiwan im Alter von 20 bis 45 nach ihrem Kaufverhalten befragt. Die schlechten, wenn auch nicht überraschenden Nachrichten: Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Konsumenten nicht shoppen, weil sie neue Dinge brauchen, sondern weil sie sich von einem neuen Kleidungsstück Glücksgefühle und Zugehörigkeit versprechen – die Umfrage zeigt auch, dass dieser Shopping-Buzz in den meisten Fällen weniger als einen Tag anhält. Danach stellt sich eine Art emotionaler Kater ein, der oft nur durch erneutes Shopping überwunden werden kann. Ein Teufelskreis. Dieses Kaufverhalten drückt sich etwa im folgenden Beispiel aus: Der Durchschnittsverbraucher kauft heute 60% mehr Kleidung und behält diese nur noch halb so lange wie noch vor 15 Jahren. Nochmal eindrücklicher wird das Ganze an diesem Beispiel: In Nordamerika wurden im Jahr 2014 durchschnittlich 16 Kilogramm neue Kleidung pro Person gekauft – das entspricht 64 T-Shirts oder 16 Paar Jeans. In der Greenpeace-Umfrage gab die Mehrheit der Befragten an, zu viel zu konsumieren. 41% der chinesischen Konsumenten bezeichnen sich als exzessive Konsumenten, sprich, sie kaufen mehr als einmal wöchentlich neue Kleidung. Davon sind die Mehrheit Frauen zwischen 25 und 34 Jahren. Wie zeitintensiv exzessives Shoppen ist, verdeutlichen diese Zahlen, wenn wir beim chinesischen Umfragebeispiel bleiben: Am Tag gehen 2 bis 3 Stunden fürs Online-Shopping drauf. Shopping verdrängt negativ besetzte Gefühle wie Langeweile und innere Leere und verspricht Vertrauen, Anerkennung und ein Zugehörigkeitsgefühl, so die Studie. So ist in Ostasien Shopping ein beliebter Zeitvertreib mit Freunden. Als weiterer Auslöser für exzessiven Konsum werden Reduzierungen, limitierte Kollektionen und soziale Netzwerke genannt. 72% der chinesischen Befragten geben an, dass sie aufgrund von Social Media-Posts von Freunden, Bloggern oder Influencern Kleidung (nach-)kaufen. In Deutschland sind es 23%. Was an der Greenpeace-Umfrage nochmal deutlich wird, ist, das Shopping ein hochemotional besetztes Thema ist. Viele Brands suggerieren uns erfolgreich, durch Shopping dazuzugehören und gleichzeitig besonders zu sein, was sich auch in den steigenden Branchenumsätzen spiegelt. Das Fast Fashion-Geschäftsmodell nutzt den Umstand aus, dass der Konsument immer mehr Neues kaufen muss, um die immer schneller aufkommende Leere zu überwinden. Ein Kreislauf, der mich an Suchtkrankheiten erinnert, ohne dabei gesellschaftlich stigmatisiert zu sein. Im Gegenteil: Fast Fashion-Unternehmen wie Primark spinnen das Konzept noch weiter und befeuern unser übermäßiges Einkaufsverhalten mit noch absurderen Billigpreisen. Greenpeaces Antwort: Alternative Konsumkonzepte fördern, die tiefergehende und langfristige Beziehungen zwischen Brand und Kunde aufbauen, und beispielsweise Reparier- oder Ausleihmodelle anbieten. Das ist natürlich eine schöne Idee und offensichtlich gibt es auf Konsumentenseite ein Verlangen nach sozialen Beziehungen, aber wie können wir es schaffen, die Vorteile von „less is more“ erfolgreich zu kommunizieren? Denn machen wir uns nichts vor: Bewusster und nachhaltiger Modekonsum ist ein unbequemes Konzept, das meiner Meinung nach unter anderem eines voraussetzt: persönlichen Stil. Tagtäglich reden uns Fast Fashion-Brands und auch Luxuslabels ein, dass wir jedes neue It-Piece im Kleiderschrank haben müssen, egal, ob es unseren Stil widerspiegelt – schließlich ist die Chanel-Tasche ein Klassiker. Und ehe wir uns versehen, haben wir einen überfüllten Kleiderschrank mit ungetragenen Sachen und ein leeres Portemonnaie.

Wir sind wahrscheinlich alle schuldig, wenn es darum geht, unsere Eltern als Teenager gezwungen zu haben, uns die trendigste Jeans oder den beliebtesten Sneaker zu kaufen, weil alle anderen es auch getragen haben und wir nicht aus der Masse herausstechen wollten. Ich möchte hoffen, dass sich das im Alter geändert hat. Die Greenpeace-Umfrage lässt allerdings vermuten, dass das nicht der Fall ist. Als ich selbst noch Fast Fashion konsumiert habe, erinnere ich mich noch an das Gefühl, mich niemals richtig trendy gefühlt zu haben – trendy now, trash tomorrow. Dieses vermeintliche Defizit wurde aber nicht durch Social Media ausgelöst, sondern durch überdimensional große Werbeanzeigen in den Einkaufsstraßen und durch das Fernsehen. Heute lasse ich mich nicht mehr von Trends der großen Brands beeindrucken, weil ich nicht in den großen Einkaufsstraßen shoppe, ein Netflix-Abo habe und in meiner Fair Fashion-Blog-Blase unterwegs bin. ABER natürlich verleite ich auf diesem Blog auch irgendwie zum Konsum, selbst wenn es bewusster Konsum ist. In meinen Statistiken sehe ich, welche Links gerne angeklickt werden, ob etwas gekauft wurde – und natürlich freue ich mich darüber, wenn meinen Empfehlungen, die meinen persönlichen nachhaltigen Kriterien und meinem Stil entsprechen, vertraut wird. Trotzdem hoffe ich, dass ich mit meinen Produktempfehlungen meinen Lesern keine potentiellen Fehlkäufe aufdrücke, sondern in Kleidungsstücke investiert wird, die oft getragen werden, langlebig sind und den eigenen persönlichen Stil reflektieren. Dieses Blog soll keine bloße retail therapy sein. Um es abschließend mit Kirsten Broddes Worten zu sagen, die die Greenpeace-Umfrage auf dem Copenhagen Fashion Summit vorgestellt zu haben: „Drop your phone, go out, start living a life, admire the natural environment! Shopping is not the right medicine.“

 

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Slow Sunday: This is no retail therapy“

  1. Liebe Nina,

    ich finde dein Vorhaben großartig – über die Dinge zu schreiben, die dich beschäftigen und die du – ohne mehr oder minder stark den „Mehrwertfilter“ drüberlaufen zu lassen – mit uns teilst. Ich schätze solche Artikel sehr, lassen sie doch zumindest ein wenig in die Person hinter den Blog blicken und regen sie doch mindestens genauso zum Nachdenken an wie andere Artikel, die eher sachlich orientiert sind.

    In diesem Fall gefällt mir deine Stellungnahme zum schwierigen Thema „Nachhaltigkeit und Konsum“, repektive „Nachhaltigkeits-Blog und Konsum“ sehr gut – ich denke, du hast hier für dich eine sehr prominente Frage beantwortet und finde deine Herangehensweise an das Thema sehr gut.
    Insbesondere der Aspekt mit dem persönlichen Stil ist ein nicht zu unterschätzender – den hat man eigentlich so gut wie gar nicht, wenn man fixiert auf Fast Fashion und deren andauernd wechselnde Kollektionen ist. Man kauft einfach, was gekauft werden soll, laut Werbung, auf welchen Kanälen auch immer.
    Slow Fashion zu konsumieren, hat auch für mich bedeutet, mich ganz genau mit dem auseinanderzusetzen, was ich für mich wirklich schön und tragenswert finde – und für das sich das Bezahlen eines hohen Preises lohnt. Da greifen verschiedene Mechanismen ineinander, die im Endeffekt dazu führen, dass ich wesentlich weniger Geld für Kleidung ausgebe, die Sachen, die ich neu kaufe, wirklich liebe und nach und nach herausfinde, was ich stiltechnisch wirklich gerne mag.

    Soweit meine verworrenen Gedanken dazu. 🙂

    Liebe Grüße
    Jenni

    1. Liebe Jenni, meine treue Kommentar-Schreiberin. Wie immer einen lieben Dank für deine Worte und Gedanken, die ich sehr schätze. Für mich persönlich sind solche Artikel auch wichtig. Alleine schon das aufschreiben von „verworrenen Gedanken“, wie du es schreibst, hilft mir, etwas mehr Klarheit bei einem Thema zu bekommen, das auch bei mir immer wieder Fragezeichen auslöst. Letztlich ist der Weg zu „Slow Fashion“ ja auch eine Reise und wir probieren alle Konzepte aus, bis wir für uns den bestmöglichen Weg gefunden haben. Das ist bei mir im Moment tatsächlich die Auseinandersetzung mit einem alternativen Umgang mit Konsum und führt, wie bei dir, dazu, weniger zu kaufen. Ich bin selbst gespannt, wie sich diese Themen zukünftig auf meinem Blog widerspiegeln werden, das letztlich – let’s face it – auch auf Konsum fußt. Liebe Grüße an dich! Nina von pink & green

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