Fashion Week Berlin Frühjahr/Sommer 2015: Highlights der Ethical Fashion Show Berlin

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Die Berliner Fashion Week ist nun schon etwas länger vorbei. Aber für einen Nachklapp zu den nachhaltigen Modemessen ist es nie zu spät. Nach unseren Lieblingslooks von der Salonshow im Rahmen des GREENshowrooms, geht es nun weiter mit Impressionen von der 6. Ethical Fashion Show Berlin, der Modemesse für nachhaltige Streetwear im ewerk, die auch diese Saison tolle Aussteller und ein spannendes Rahmenprogramm hatte.

Die Ethical Fashion Show Berlin begann für mich mit einem Frühstück. Beim „Creative Green Breakfast“ diskutierten Claudia Kersten (Marketing Direktorin von GOTS), Lisa Kirfel-Rühl (Referat Globalisierung, Handel, Investition im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und Mariska Przyklenk (Non-Food-Produktentwicklerin von Fairtrade Deutschland) das Thema „Ein einheitliches Textilsiegel für soziale und ökologische Standards?“. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von der freien Journalistin Stephanie Hütz. Als Ehrengast war Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) geladen, die die Diskussion immer wieder durch lebendige Beiträge bereicherte. So kritisiert Künast Entwicklungsminister Gerd Müllers Forderung nach einem (!) einheitlichen Gütesiegel für die deutsche Textilindustrie und plädiert für einen EU-weiten Ansatz. Weiterhin fordert Künast ein Klagerecht für Arbeiter sowie eine Transparenzpflicht für Unternehmen ein, die diese dazu aufruft, Produktionsstandorte und -bedingungen offen zu legen. Dass es in Zukunft ein Alleskönner-Siegel geben soll, zweifelten übrigens alle Podiumsteilnehmerinnen an. Jedes Label setzt schließlich unterschiedliche Schwerpunkte, so Przyklenk von Fairtrade Deutschland. Während einige Unternehmen für die Einhaltung ökologischer Standards stünden, legten andere Marken ihr Hauptaugenmerk auf soziale Kritieren. Und hier rudert die Politik dann auch zurück: Natürlich sei es nicht das Ziel, bisherige Siegel abzuschaffen oder diese zu doppeln. Im Rahmen einer Multi-Interessensvertreter-Initiative sollen Lücken innerhalb der Lieferkette geschlossen und verbindliche Ansätze gefunden werden, auch jene Unternehmen mitzunehmen, die in erster Linie auf Preispolitik setzen. „Das muss kein Siegel sein“, so Kirfel-Rühl. Hier hakt Renate Künast wieder ein, die als Ergebnis kein 100 Seiten-Papier wolle, das auf Freiwilligkeit setzt. Ein gesetzlicher Mindestrahmen müsse her, ähnlich dem des Umweltinformationsgesetzes. Eine Teilnehmerin aus dem Publikum malt hierzu ein vielleicht nicht realistisches, aber doch eindrucksvolles Bild, wie ich finde: Modeunternehmen, die sich nicht an die Mindestanforderungen halten, bekommen einen Produktaufkleber wie sie auch auf Zigarettenpackungen zu finden sind. Wer möchte schließlich ein Etikett mit der Warnung „Dieses Material macht krank“ auf seine Textilien drucken müssen?
Und das Diskussionsergebnis? Ein Einheitssiegel braucht niemand (und der Konsument schon gar nicht). Vielmehr muss die Politik gesetzliche Maßnahmen durchsetzen, die Modeunternehmen dazu zwingen, eine faire, nachhaltige und transparente Textilkette aufzubauen.

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Ein weiteres Angebot des Rahmenprogramms war eine Präsentation über nachhaltige Stoffe der Zukunft. Sophia Opperskalski, Gründerin und Inhaberin von interloom, sprach über Trends und Herausforderungen im Bereich natürliche und synthetische Fasern. So zeigen Statistiken, dass zunehmend Stoffe aus Hampf, Leinen und Bananen in der Textilproduktion eingesetzt werden. Auch die Strickerzeugung aus Milch als Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie ist gefragt. Die Herausforderung, so Opperskalski, ist es, natürliche Fasern biologisch abbaubar oder recycelbar zu machen. Auch zellulosische Fasern wie Tencel und Modal verzeichnen einen Zuwachs in der nachhaltigen Textilbranche. Ein spannender und zukunftsträchtiger Bereich ist die sogenannte „Bio-Couture“. Hier entstehen aus biologischen Lebensmitteln, wie grüner Tee, Zucker und Hefe, neue mikrobielle Materialien, die vollständig kompostierbar und giftfrei sind. Eine Pionierin in diesem Feld ist die britische Designerin und Gründerin von Biocouture Ltd Suzanne Lee. Auch die Möglichkeit, sogenannte „hässliche“ Fasern, wie z.B. Spinnweben, in die Textilproduktion zu integrieren, zeigt auf wie facettenreich die Entwicklung nachhaltiger Stoffe sein kann.
Über die Zukunft von Mode hat AEG übrigens die Dokumentation „The Next Black“ produziert, die auf der Ethical Fashion Show gezeigt wurde. Hier kommen Innovateure aus der Textil- und Bekleidungsindustrie zu Wort, darunter Nancy Tilbury, Patagonia, Suzanne Lee, addidas und IFIXIT. Hier geht es zum Film.

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Und nun zu den Highlights des Messerundgangs…

Das finnische Label Nurmi sollte man sich merken. Hier trifft skandinavisches Design auf transparente Nachhaltigkeit. So legen die sympathischen und aufgeschlossenen Nurmi-Mädels die komplette Produktionskette samt Produktionskosten offen. Die Jeans werden aus pre-consumer waste (Produktionsabfälle, Musterteile und unverkaufte Stücke) gewonnen und setzen sich aus Hampf (Trend-Alarm!) und organischer Baumwolle aus China und der Türkei zusammen. Die Anfertigung findet dann in Finnland statt. Die Jeans eignen sich auch für Veganer, da das herkömmliche Leder-Patch gegen Materialreste aus der finnischen Automobilindustrie eingetauscht wird. Neben Jeans macht Nurmi tolle Jäckchen aus Hampf, T-Shirts und Männerhemden. pink & green berichtet demnächst ausführlicher über Nurmi.

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Die Tencel-Linie von L’Herbe Rouge aus Frankreich hat mich besonders begeistert. Lyocell/Tencel (Trend-Alarm!) ist eine aus Holz gewonnene Funktionsfaser, die schadstofffrei verarbeitet wird und einen geschlossenen Produktionskreislauf aufweist. Tencel nimmt besonders viel Feuchtigkeit auf, verhindert Hautreizungen und hat eine sanfte Oberfläche. Im Gegenteil zu Baumwolle vebraucht Tencel bis zum 20 Mal weniger Wasser und konkurriert nicht mit dem Lebensmittelanbau, da er aus nachhaltiger Forstwirtschaft und von Plantagen gewonnen wird. Ein weiteres Plus ist das Slow Fashion-Konzept von L’Herbe Rouge: Der schwarz-weiße Tencel-Pullover aus der Frühjahr-/Sommerkollektion 2015 ist ein Unisex-Modell und kann auch auf links getragen werden. C’est génial!

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Das Taschenlabel O My Bag kommt aus den Niederlanden und setzt den Schwerpunkt auf die Einhaltung sozialer Standards. So ist die gesamte Lieferkette im Bundesstaat Westbengalen in Indien angesiedelt. Das Öko-Leder stammt von indischen Kühen, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Die Lederhäute werden ohne schädliche Chemikalien wie Chrom, PCP und AZO-Färbemittel gegerbt und liegen somit zweifach über dem EU-Standard. Dies ist nicht nur für die Gesundheit der Arbeiter wichtig, sondern reduziert zudem die CO2-Bilanz. Die Fabrik, in der O My Bag produzieren lässt, befindet sich in Kalkutta und ist von der World Fair Trade Organization zertifiziert. Die hier beschäftigten Frauen erhalten neben einer fairen Entlohnung ein umfangreiches Weiterbildungsangebot, so dass eine autarke lokale Produktion entstehen kann. Einziges Defizit: Der in den Ledertaschen eingearbeitete Canvas-Beutel selbst trägt (noch) kein Siegel.

Die Lösung für abgetragene Schuhe kommt aus Amsterdam. Neues Leben statt Müll, heißt die Devise des 2008 gegründeten Labels OAT Shoes, das vollständig biologisch abbaubare Schuhe aus Hampf, Bio-Leinen und Bio-Baumwolle mit einer zertifizierten Plastiksohle aus recycelten PET-Flaschen entwickelt. Beim Einpflanzen in die Erde – die Samen sind in die Schuhzunge eingenäht – wird der Schuh eins mit der Natur und lässt eine Pflanze wachsen. Oat lässt seine Schuhe in einem Familienunternehmen in Bulgarien nähen. Neu im Sortiment sind die Babyschuhe OATies und der OAT-Shopper.

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Die Ethical Fashion Show hat mich auch diese Saison überzeugt. Das Rahmenprogramm war abwechslungsreich und neben bekannten Labels gab es viele neue Aussteller, was mich positiv stimmt. Zwar gibt es hier und dort auch Labels, die nicht ausschließlich grüne und faire Produkte anbieten (nur 70% der Produkte müssen den Nachhaltigkeitskriterien der Ethical Fashion Show Berlin entsprechen), und denen man unterstellen könnte, aus ökonomischen Gründen im grünen Modemarkt mitmischen zu wollen, aber insgesamt überwiegt bei mir der Eindruck, dass hier Menschen sind, die alle dasselbe wollen:
eine andere Mode.

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