Engagiert Euch: Interview mit Anne Neumann von FEMNET e.V.

Oft wird Bloggen als oberflächlich und realitätsfern belächelt. Und klar, auch in der eco-fairen Modebranche gibt es oberflächliches Getue. It’s Fashion, after all! Trotzdem werde ich nicht müde zu betonen, dass es bei nachhaltiger Mode um mehr als Ästhetik geht. Mode ist ein hochpolitisches Thema. Es geht um Umwelt und um Menschenrechte. Ich weigere mich, einen Blog zu führen, der sich diesen Themen komplett entzieht und das Licht nur auf das Schöne wirft. Das mag mehr Klicks und Reichweite geben, aber dafür bin ich nicht hier. Deswegen ist es mir ein Anliegen, auch in Zukunft mehr politische Themen hier zu besprechen. Als ich vor ein paar Wochen an einem Expertengespräch zu Modekonsum mit Studenten und Studentinnen der AMD Berlin teilgenommen habe, war es mir wichtig, darüber zu reden, was wir alles machen können, wenn wir unsere Lebenszeit nicht mit Shoppen verbringen, wie z.B. Geld und Zeit sparen und damit sein eigenes Business aufbauen. Und wie meine Gesprächspartnerin Christina Wille von loveco ganz richtig beifügte: Engagiert euch. Eigentlich ganz einfach, oder? Als ich meine Festanstellung verlassen habe, war eines meiner Vorhaben, mich ehrenamtlich zu engagieren. Einige unter uns könnten meinen, dass ich das doch mit meinem Blog schon mache (nicht ganz unrichtig), aber mit Engagement möchte ich meine Bloggerblase verlassen und innerhalb von Vereinsstrukturen gezielt unsere Gesellschaft formen. Viele von uns fühlen sich von der Masse an NGOs allerdings schier überfordert. Geht mir genauso: Wenn ich aus dem U-Bahnhof komme und von rechts eine Tierschutzorganisation und von links eine Menschenrechtsorganisation auf mich zukommt, dann bin ich erstmal überwältigt und möchte einfach nur weg. So, let’s take this slow.

In diesem Artikel möchte ich euch Anne Neumann von der gemeinnützigen Frauenrechtsorganisation FEMNET e.V. vorstellen. FEMNET setzt sich seit 10 Jahren für faire Arbeitsbedingungen in der globalen Textilkette ein und ist im Bildungssektor, in der Politik und vor Ort in Bangladesch und Indien aktiv. Mit Anne habe ich ausführlich über ihre Arbeit, Politik und unsere Rolle als Konsumenten gesprochen. Und weil man das nicht in 3000 Zeichen unterbringen kann, nehmt euch für das Interview am besten etwas mehr Zeit.

Pink & Green: Liebe Anne, was hat dich eigentlich zu FEMNET e.V. geführt?

Anne Neumann: Ich habe Politikwissenschaft in Leipzig studiert und mich im Zuge dessen mit Menschenrechtsdurchsetzung in globalen Wertschöpfungsketten mit unterschiedlichen Produktbezügen beschäftigt, z.B. landwirtschaftliche Produkte, Elektrogeräte usw. In Leipzig war ich Gründerin des Reparaturcafés und Ort des Globalen Lernens Café Kaputt und bin dann vor 2,5 Jahren zu FEMNET gewechselt. Ich finde es toll, dass FEMNET gezielt zu einem Thema arbeitet und sich auf die Frage von Frauenrechten in der Bekleidungsindustrie konzentriert und dazu viel Know-how hat und deshalb auch eine hohe Wirkung entfaltet. Einerseits in der Öffentlichkeit und in der Aufklärungsarbeit der breiten Öffentlichkeit, andererseits in der Lobby- und Advocacy-Arbeit mit Unternehmen, in Bildungs- und Beratungskontexten und vor Ort in Indien und Bangladesch. Das ist ein ganzheitliches Ansatzpaket, was es zu dem Thema in dieser Form ganz selten gibt, was ich nach wie vor sehr beeindruckend finde.

Ich bin nicht Feministin, weil ich denke, dass Frauen so und so betrachtet werden müssen. Ich bin Feministin, weil ich finde, dass Menschen gleiche Rechte haben müssen.

P&G: Und woher rührt dein Interesse an Frauenrechten – bist du Feministin?

AN: Heute bin ich auf jeden Fall Feministin. Und ich kann auch nicht verstehen, wenn Leute sagen, dass sie keine Feministen sind. Dass gleiche Rechte für Menschen ein Ziel sind und Frauen aufgrund  einer Geschlechterkategorie systematisch diskriminiert werden, ist total offensichtlich. Und wenn man dafür ist, dass Menschen gleiche Rechte haben, dann ist man automatisch Feministin. Ich finde, man muss das gar nicht als wahnsinnig großen Kampfbegriff aufhängen. Wenn alle Menschen unabhängig von irgendwelchen Diskriminierungskategorien gleichbehandelt werden, dann brauchen wir keine Feministen mehr. Ich bin nicht Feministin, weil ich denke, dass Frauen so und so betrachtet werden müssen. Ich bin Feministin, weil ich finde, dass Menschen gleiche Rechte haben müssen.

P&G: Wie werden deiner Meinung nach Frauen in der Modeindustrie behandelt?

AN: Prinzipiell gibt es weltweit Ausbeutungsmechanismen in der Produktion, aber auch im Einzelhandel, die gesellschaftliche Diskriminierungskategorien benutzen, um Menschen, die sowieso schon diskriminiert werden und sich schlechter wehren können, noch besser ausbeuten zu können. Das ist z.B. ganz klassisch der Fall bei WanderarbeiterInnen, die vor Ort wenig verankert sind und kein großes soziales Netzwerk haben. Oder bei Geflüchteten, die z.B. aus Syrien geflüchtet sind und in der Türkei in der Bekleidungsindustrie arbeiten. Und eben auch bei Frauen, die eh schon benachteiligt sind, weshalb sie es schwerer haben, sich zu wehren. Wir haben nicht umsonst 80% Frauen, die in der Produktion in Bangladesch arbeiten. Es ist ein Niedriglohnsektor, der viel mit ungelernten Arbeitskräften arbeitet und sich dann dem Mechanismus bedient, lieber Menschen einzustellen, die sich schlechter wehren können. Das kann aufgrund unterschiedlicher Kategorien sein. Weltweit sind es aber sehr, sehr häufig Frauen.

P&G: Kannst du Beispiele für Diskriminierung von Frauen im Einzelhandel geben?

AN: Der Einzelhandel in Deutschland ist auch oft ein Niedriglohnsektor, der überwiegend Frauen beschäftigt. Warum organisieren sich besonders Frauen wenig in Gewerkschaften? Wir sehen in Deutschland systematisch bei Bekleidungsfilialisten, dass die Gründung von Betriebsräten verhindert wird. Auch hier organisieren sich im Bekleidungseinzelhandel kaum Menschen und können deswegen schwieriger Lohnforderungen durchsetzen. Aktion Arbeitsunrecht e.V. arbeitet beispielsweise zu KIK, weil dort Menschen, die im Betriebsrat aktiv sind, unter Druck stehen. Auch bei H&M sind gerade wieder Missstände thematisiert worden. Aber es wehren sich nach wie vor zu wenige ArbeitnehmerInnen. Gleichzeitig tragen in Deutschland wie in anderen Ländern weltweit Frauen nach wie vor den Hauptanteil familiärer Sorgearbeit. Da bleibt natürlich auch einfach weniger Zeit und Raum, sich zu engagieren.

Wir geben Anstöße und appellieren daran, dass wir alle als Menschen, jenseits von unserem Beruf, Verantwortung tragen.

P&G: Einer deiner Arbeitsbereiche bei FEMNET ist die Bildungsarbeit. Wie sieht eure Bildungsarbeit dort aus?

AN: Ich betreue die Bildungsarbeit an Hochschulen, bisher hauptsächlich an modebezogenen Studiengängen, wie Modemanagement, Bekleidungstechnik, Modedesign, Modejournalismus. Aber auch ausgeweitet auf Wirtschaft- und Lehramtsstudiengänge. Wir arbeiten dort in Workshops zu dem Thema „Sozialstandards in der Bekleidungsindustrie“: Die Probleme und Mechanismen dahinter, Problemanalysen und Lösungsansätze. Für die Workshops bilden wir MultiplikatorInnen aus. Wir haben ein deutschlandweites Netzwerk von Menschen, die oft auch selbst einen wirtschaftswissenschaftlichen oder einen modebezogenen Hintergrund haben und die die Workshops für uns umsetzen. Wir vermitteln auch Vorträge von GewerkschafterInnen aus Bangladesch oder Indien. Grundsätzlich zwingen wir in unseren Workshops und Vorträgen niemandem eine ethische Grundhaltung auf oder verpflichten sie dazu, etwas zu machen. Wir geben Anstöße und appellieren daran, dass wir alle als Menschen, jenseits von unserem Beruf, Verantwortung tragen. Unser Ziel ist es, die Auseinandersetzung mit dem Thema fest im Studium zu verankern und dass Lehrende und Dozenten auf mittlere Sicht selber die Themen übernehmen und bei sich standardmäßig unterrichten.

P&G: Inwiefern findet denn Nachhaltigkeit in modebezogenen Studiengängen überhaupt statt?

AN: Oft wird im Modedesign Nachhaltigkeit nur unter der ökologischen Komponente behandelt, weil dort natürlich viele spannende Innovationen stattfinden, Stichwort Cradle to Cradle, Zero Waste. Aber der Gedanke sozial nachhaltig zu produzieren, ist weniger verankert. Ich habe den Eindruck, dass viele Studiengänge weniger holistisch denkende, sondern spezialisierte Menschen ausbilden wollen: Qualitätsmanager, Entwickler von neuen Textilgeweben und weniger Leute, die ihre Branche insgesamt steuern. Im Gegensatz zu Modemanagement-Studiengängen, wo das Thema Corporate Social Responsibilty mehr stattfindet, beruft man sich im Modedesign oft darauf, nur Design zu machen und auf die Produktion keinen Einfluss zu haben.

Man muss sich schon vor Augen führen, was unser derzeitiges Produktionsmodell für Menschen weltweit bedeutet. Und das macht ganz wenig Spaß […], egal, wie man es dreht und wendet. Trotz aller Abhärtung durch die Medien sind wir die wirkliche Auseinandersetzung damit nicht gewohnt.

P&G: Wie sind die Reaktionen der Studenten und Studentinnen, die eure Workshops besuchen?

AN: Viele sind erstmal schockiert. Gleichzeitig hilft es nicht, um das Thema herumzureden. Man muss sich schon vor Augen führen, was unser derzeitiges Produktionsmodell für Menschen weltweit bedeutet. Und das macht ganz wenig Spaß und ist auch nicht positiv, egal, wie man es dreht und wendet. Trotz aller Abhärtung durch die Medien sind wir die wirkliche Auseinandersetzung damit nicht gewohnt. Einen sensiblen Umgang mit der Thematik, die Leute nicht zu überfordern, sie damit nicht zu verschrecken, sie handlungsfähig zu machen, nicht das Leid von Menschen zu instrumentalisieren, gleichzeitig das Leid von Menschen auch nicht zu stark durch kulturelle Brillen zu betrachten – das ist komplex und anspruchsvoll in der Konzeption und Durchführung eines sinnvollen didaktischen Modells, das zu einem wirklichen Wandel beiträgt.

P&G: Neben Bildungsarbeit bist du bei FEMNET auch für die Beratung von Kommunen für faire und öffentliche Beschaffung zuständig. Wie kann man sich das vorstellen?

AN: Bei FEMNET beraten wir derzeit die Städte Bonn und Köln, wie bei der öffentlichen Beschaffung von Berufskleidung ökologische und soziale Standards miteinbezogen werden können. Wir erarbeiten Modelle, die bestimmte Vergabemechanismen berücksichtigen, die dann auch andere Kommunen anwenden können. Dabei arbeiten wir eng mit den BeschafferInnen zusammen und sprechen auch mit Unternehmen, die sich dafür bewerben könnten. Ein Beispiel: In sogenannten Bieterdialogen erfahren Unternehmen, worauf die jeweilige Stadt oder Gemeinde in Zukunft bei Sozial- und Ökologiestandards mehr achten will und wie die Unternehmen die Anforderungen nachweisen können. Wir laden dann breit z.B. Hersteller und Händler für Arbeits- und Sicherheitsschuhe ein.

[…] [U]m systemische Veränderung zu erreichen, können wir uns nicht auf unsere Rolle als Konsument reduzieren, sondern müssen politische Forderungen erheben.

P&G: Wie spricht man denn eurer Erfahrung nach am besten Menschen an, um sie auch wirklich zu erreichen?

AN: In der Bildungsarbeit ist es wirklich wichtig, einen Ausblick und eine Handlungsermächtigung zu haben. In der Kampagnenarbeit stehen wir auch selbst immer vor der Frage, was funktioniert. Da gibt es, glaube ich, nicht den einen Weg. Für eine relativ komplexe politische Forderung, wie die unternehmerische Sorgfaltspflicht und ein Unternehmensstrafrechtgesetz, muss man eine andere Kampagne fahren, als wenn man Primark dazu auffordert, seine Zulieferkette zu veröffentlichen. Dass Experten ihr Wissen auch so kommunizieren können, dass es eine breite Öffentlichkeit erreicht und abholt, ist eine Schwierigkeit. Was gut funktioniert, ist Leute über ihren persönlichen Konsum anzusprechen und abzuholen. Aber um systemische Veränderung zu erreichen, können wir uns nicht auf unsere Rolle als Konsument reduzieren, sondern müssen politische Forderungen erheben. Wir müssen an die herkömmlichen großen Marken herantreten und die Hersteller dazu bewegen, in ihren Geschäftsmodellen etwas zu verändern. Und dafür ist der eigene Konsum, mit dem man ein Zeichen an der Ladenkasse setzt, nur ein Element und wie ich finde, ein nur relativ kleines Element, aber eben eins, was total viele Leute abholt und erstmal beschäftigt, was ja auch total schön ist. Schlussletztlich leben wir aber in einer Demokratie, in der das gemacht wird, was Mehrheiten wollen. Es hilft nichts, dass wir uns auf unsere Rollen als Konsumenten reduzieren. Das ist, glaube ich, ein Verständnis, was relativ wenig in unserer Gesellschaft verankert ist.

P&G: Menschen mit Vollzeitjob, vielleicht sogar Familie, sind vielleicht etwas überfordert, sich auch außerhalb dieses Rahmens zu engagieren…

AN: Ich kann das Prinzip der Arbeitsteilung verstehen und es ist ja auch legitim: Ich habe meinen Job, BerufspolitikerInnen sollen ihren Job machen und Unternehmen ihren. Das Problem ist nur, dass das nicht auf eine gute Art und Weise passiert. Wir bei FEMNET haben die Forderung an Bundestagsabgeordnete und an Regierungskoalitionen, die Unternehmenshandlungen von deutschen Herstellern und europäischen Unternehmen so zu regulieren, dass Menschenrechte weltweit notwendigerweise umgesetzt werden. Dann müsste ich mir als VerbraucherIn keine Gedanken mehr machen. Das wird aber nicht passieren, wenn man dahingehend keinen Druck ausübt.

P&G: Was können wir denn aus eurer Sicht konkret machen?

AN: Jeder kann bei seiner Lieblingsmarke Druck ausüben und nachfragen, wie denn NäherInnen dort bezahlt werden. Auch in seinem Umfeld das Thema anzusprechen, ist wichtig, z.B. auf der nächsten Cocktailparty, damit eine Sensibilisierung erfolgt. Üblicherweise nehmen Menschen eher Dinge von anderen Menschen als von Medien und Organisationen an. Wirkungsvoller wird das natürlich, wenn man das im größeren Rahmen einbringt, z.B. bei der Kampagne für Saubere Kleidung, wo man Petitionen unterschreibt und bei Straßenaktionen mitmacht, auf Social Media aktiv ist. Oder sich in Gruppen zusammenschließen. Bei der Primark-Eröffnung in Leipzig haben so viele Menschen gemeinsam für Menschenrechte und Umweltbelange demonstriert. Es muss nicht immer unter dem Dach einer NGO passieren. Aber zusammen ist es schon wirkmächtiger als alleine.

Wir fordern nach wie vor, dass Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und bei Verletzung dieser Sorgfaltspflicht haften müssen.

P&G: Ihr seid Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien. Ein Bündnis, was meiner Meinung nach, sehr hinter verschlossenen Türen arbeitet und von dem wir als VerbraucherIn nur wenig mitbekommen. Was ist eure Rolle im Bündnis?

AN: Wir sind von Anfang an dabei, weil wir das Bündnis als eine Chance ansehen, um Fortschritte bei den Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette zu erreichen. Das baut aber auf gesetzlichen Regeln auf. Wir fordern nach wie vor, dass Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und bei Verletzung dieser Sorgfaltspflicht haften müssen. Das muss gesetzlich geregelt werden. Mit einem freiwilligen Bündnis kann man z.B. höhere Löhne bei den Zulieferern durchsetzen, oder auch Gewerkschaftsfreiheit, Verhinderung von Frauendiskriminierung – das sind Ansätze, die wir gemeinsam mit Unternehmen verfolgen können.  Wir werden durchaus dafür kritisiert, dass wir im Bündnis mitmachen, weil es auch die Gefahr birgt, dass wir als Feigenblatt für Unternehmen wirken. Es ist aber kein Spaziergang, denn im Textilbündnis kämpfen wir um jeden kleinen Fortschritt. So haben wir erreicht, dass die Unternehmen ihre Ziele für das kommende Jahr in einer sogenannten Roadmap veröffentlichen müssen, in diesem Jahr war es noch freiwillig.  FEMNET hat auch die Abschaffung der sklavenähnlichen Verhältnisse in den Spinnereien in Südindien als eine Bündnisinitiative in das Textilbündnis eingebracht. Daran beteiligen sich nun vier große Unternehmen – Tchibo, Otto, Hugo Boss, KiK. Der Startschuss dafür erfolgte mit einem Workshop im Oktober in Indien.

P&G: Wie sieht eure Arbeit in und mit der Politik abseits vom Bündnis aus?

AN: Unsere öffentlichkeitswirksamen Kampagnen richten sich auch an politische EntscheidungsträgerInnen. Das machen wir  vor allem innerhalb des Netzwerks für Unternehmensverantwortung CorA (Corporate Accountability) – ein Zusammenschluss verschiedener NGOs, die sich für Unternehmenshaftung und Unternehmenssorgfaltspflicht einsetzen. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten: Konsultationen mit Abgeordneten, Öffentlichkeitsarbeit, Podiumsdiskussionen. Um ein konkretes Beispiel zu geben: In Nordrhein-Westfalen gab es unter der letzten Landesregierung ein sehr fortschrittliches Vergabegesetz, das sich dafür eingesetzt hat, dass soziale und ökologische Kriterien in der öffentlichen Beschaffung gestärkt werden und dass die ILO-Kernarbeitsnormen in Ausschreibungen möglichst verpflichtend einbezogen werden. Unter der jetzigen CDU-/FDP-Regierung wurde im Koalitionsvertrag beschlossen, dass im Zuge des Bürokratieabbaus alles rückgängig gemacht wird. Das ist natürlich eine Rolle rückwärts und wir haben in diesem Zusammenhang unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Wir haben Presse- und Lobbyarbeit gemacht. Eine Landtagsabgeordnete und ein EU-Abgeordneter von den Grünen haben eine Petition gestartet, die wir breit gestreut haben, so dass auch auf das Parlament in den Ausschüssen und auf die Regierungskoalition Druck gemacht wird. Wir stimmen uns dafür mit den Parteien, die daran Interesse haben, ab und sind auf gute Oppositionsarbeit angewiesen. Das ist Lobby-Arbeit.

P&G: Wieso finden die Missstände in der Bekleidungsindustrie deiner Meinung nach so wenig Resonanz in innenpolitischen Debatten?

AN: Unternehmensverantwortung ist in den Wahlprogrammen der meisten Parteien verankert. Aber das ist kein öffentlichkeitswirksames Thema, weil damit schlicht keine Wahl gewonnen wird. Genauso wenig wie mit Menschenrechtsdebatten. Eine der großen Ausnahmen ist das Unglück von Rana Plaza, wo es eine große und länger anhaltende Medienaufmerksamkeit gab und in Folge dessen Entwicklungsminister Gerd Müller das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen hat.

Wenn die Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit weggeht, kann auch der Erfolg, einen strukturellen Ansatz für Verbesserungen geschaffen zu haben, zerschlagen werden.

P&G: Als NGO profitiert ja man auf eine gewisse Weise von solchen Unglücken, weil die Aufmerksamkeit für die Themen dann hoch ist. Wie geht man damit um?

AN: Das ist in der Tat total zynisch, dass du was erreichen kannst, wenn die Aufmerksamkeit besonders hoch ist. Andererseits ist es unvorhersehbar, wann die Aufmerksamkeit besonders hoch ist und ein Unglück besonders präsent ist. Fabrikunglücke und -brände gibt es ja total oft. Bei Rana Plaza scheint es sich an der Zahl der vielen Toten festgemacht zu haben. Für uns ist es aber dann nicht so, dass wir für immer und ewig ganz viele tolle Änderungen erzielen können. Eine meiner Kolleginnen war kürzlich in Bangladesch und hat mit vielen Gewerkschaften gesprochen, die ihr erzählten, dass es im Jahr nach dem Rana Plaza-Unglück eine Neugründung von rund 200 Fabrikgewerkschaften von Näherinnen und Nähern gab. Inzwischen sind wir wieder bei unter 20 pro Jahr und sehen eine unheimlich hohe Repression von Gewerkschaften in Bangladesch. Wir haben in Bangladesch zwar erreicht, dass nach dem Unglück das Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit erreicht wurde und damit was auf den Weg gebracht wurde. Um das dauerhaft zu sichern, müssen Gewerkschaften aber frei arbeiten können und genau das wird wieder aktuell zurückgefahren. Das ist auch eine Art Zynismus: Wenn die Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit weggeht, kann auch der Erfolg, einen strukturellen Ansatz für Verbesserungen geschaffen zu haben, zerschlagen werden.

P&G: Wie sieht eure Arbeit vor Ort in Bangladesch und Indien aus?

AN: Innerhalb der Kampagne für Saubere Kleidung haben wir ein Urgent Appeal-Netzwerk [Anm. d. Red.: Eilaktionsarbeit]. Das heißt, wenn besonders gravierende Verstöße von Arbeitsrechten passieren, spielen wir das in die globalen Produktionsnetzwerke zurück. Wenn z.B. in Kambodscha eine Fabrik schließen musste und die ArbeiterInnen nicht entlohnt wurden, verfolgen wir die Produktionskette zurück und machen die Unternehmen auf die arbeitsrechtlichen Verstöße in ihrer Lieferkette aufmerksam. Wir fordern dann, dass die Unternehmen hier bei uns ihrer Sorgfaltspflicht bei ihren Lieferanten in Kambodscha nachkommen und die Arbeitsrechtsverletzungen bei ihren Lieferanten abstellen. Wenn das nicht passiert und Unternehmen uneinsichtig sind, dann tragen wir die Vorfälle in die Öffentlichkeit. Bei FEMNET haben wir zudem einen Solidaritätsfonds für unsere Partnerorganisationen in Indien und Bangladesch. Dafür sammeln wir hier vor Ort Spenden, um Rechtsbeistand zu finanzieren und die Menschen vor Ort damit zu unterstützen.

P&G: Hat sich eurer Meinung nach die Art und Weise, wie Unternehmen mit Kunden über Mode sprechen seit Rana Plaza geändert?

AN: Die großen Unternehmen verfassen Nachhaltigkeitsberichte. Auf EU-Ebene gibt es ein neues Gesetz, das die größten börsennotierten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ab 2017 dazu verpflichtet, CSR-Berichte zu schreiben und zu veröffentlichen. Bei den großen Herstellern gibt es schon eine andere Öffentlichkeitserwartung, so dass man um eine Ethik-Rubrik auf der Unternehmenshomepage nicht mehr herumkommt. Ich habe auch den Eindruck, dass Unternehmen schon Druck empfunden haben, um zumindest Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien oder anderen Multi-Stakeholder-Initiativen zu werden. Setzen Unternehmen das in ihrer Kommunikation an die Kunden ein? Nein, nicht wirklich. Pionierunternehmen legen Wert darauf, ihre Bestreben zu kommunizieren. Aber sonst habe ich nicht den Eindruck, dass Unternehmen das tun, vor allen Dingen nicht differenziert genug. H&M macht eine Kollektion, die sie „conscious collection“ nennen und dann sind ein Teil der Kunden und Kundinnen völlig begeistert, wie sie so gerne bei H&M shoppen. Das kann einen ersten Aha-Effekt erzeugen. Gefährlich ist es, wenn es dann dabei bleibt und man denkt, dass Unternehmen x ein super nachhaltiges Unternehmen ist, obwohl die Gesamtstrategie nicht auf die Einhaltung von Sozial- und Ökologiestandards ausgerichtet ist. Das ist Greenwashing. Aber dass große Unternehmen wirklich in die Offensive gehen und genau darlegen, was sie machen, das scheint mir nicht der Fall zu sein.

P&G: NGOs wirken auf viele unnahbar und vermitteln das Gefühl, dass Aktivismus bedeutet, auf Kräne zu klettern und Frachtschiffen in Schlauchbooten zu folgen. Trägt diese Wahrnehmung vielleicht auch dazu bei, dass viele Menschen denken, dass das nichts mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat? Wieso ist uns Aktivismus fremd (geworden)?

AN: Die Beobachtung, dass eine NGO als etwas ganz Fernes wirken, teile ich auch. Was eigentlich erstaunlich ist, weil wir alle NGO sind. In der Zivilgesellschaft ist es wie mit Parteien: Nur wenn Leute mitmachen, klappt es, und es ist eine Form, die Gesellschaft zu prägen. In dem Moment, in dem ich mich nicht engagiere, präge ich ja auch Gesellschaften: Nämlich durch meinen Nicht-Aktivismus. Vielleicht ist es auch deswegen so fern und fremd, weil wir uns ganz oft auf unsere Rollen als ArbeitnehmerIn und KonsumentIn zurückziehen. Wir nehmen die feststehende Arbeitsteilung einfach so an. Wir wollen unsere Freizeit entspannt genießen, uns darum kümmern, was am Wochenende auf den Grill kommt und wen wir einladen. Wir wollen mit dem ganzen Mist in Ruhe gelassen werden. Gleichzeitig haben wir gesellschaftlich betrachtet im Durchschnitt so viel Freizeit wie nie zuvor und nutzen sie aber wenig dafür, um uns um das zu kümmern, was unser Leben gestaltet, weil es für die meisten von uns anscheinend ganz gut läuft. Sonst würde man sich ja mehr engagieren. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Bedeutung hinter dem Begriff NGO erstmal abstrakt ist: Ein Verein, der sich dafür einsetzt, dass Menschenrechte umgesetzt werden. Konkreter ist es, wenn ich sage: Ein Verein, der sich dafür einsetzt, dass unser aller Rechte umgesetzt werden und dass weltweit Gerechtigkeit herrscht. Die Schwierigkeit liegt darin, deutlich zu machen, dass eine NGO nichts anderes ist als ein Kegelverein. Nur dass du halt am Ende versuchst, politische Forderungen umzusetzen und die Gesellschaft zu gestalten, und nicht nur zu kegeln. Da kann es auch schon helfen, 1 Euro im Monat oder im Jahr zu spenden, damit andere auf einen Kran klettern und Plakate ausrollen können.

Wir müssen als Organisation immer wieder erklären, dass unsere Arbeit nur dann funktioniert, wenn ganz viele Leute das unterstützen und den einen Klick bei der Petition machen.

P&G: Was bedeutet diese Entwicklung für NGOs?

AN: Für die Funktion von NGOs in einer post-demokratischen oder politikmüden Gesellschaft bedeutet das, dass wir immer mehr zu Watchdogs werden, die Unternehmen gezielt darauf hinweisen, wenn sie etwas nicht machen, damit sich nicht jeder einzelne damit beschäftigen muss. Das scheint mir eine Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre zu sein. Wir müssen als Organisation immer wieder erklären, dass unsere Arbeit nur dann funktioniert, wenn ganz viele Leute das unterstützen und den einen Klick bei der Petition machen. Das ist auf jeden Fall eine Schwierigkeit, aber dafür halten wir auch gefühlt eine Million Vorträge im Jahr, machen total viel Medienarbeit und versuchen in unterschiedlichsten Foren präsent zu sein.

P&G: Wie sehen deine Zukunftsprognosen für die Bekleidungsindustrie aus?

AN: Die Themen und Probleme müssen bei Entscheidungsträgern, einer kritischen Masse, ankommen. In unserer Bildungsarbeit sehe ich, dass es immer mehr Studierende gibt, die Nachhaltigkeit einfordern, was mir Hoffnung macht. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass es in den nächsten fünf Jahren eine gesetzliche Pflicht für unternehmerische Sorgfalt geben kann, gerade wenn man die Entwicklungen auf europäischer und auf UN-Ebene betrachtet. Die UN steckt in laufenden Treaty-Verhandlungen zu Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Mit der Rückeroberung der Regulierungsmacht, können ja nicht nur Rahmenbedingungen für weltweiten Wirtschaftshandel gestaltet werden, sondern letztlich für das Wohl vieler Menschen gesorgt werden.

P&G: Danke, liebe Anne, für deine Zeit und Offenheit.

Für mehr Infos über FEMNET und wie ihr euch einbringen könnt, empfehle ich euch neben der Homepage den Fair Fashion Guide, den ihr euch hier kostenlos downloaden könnt.

 

2 Gedanken zu „Engagiert Euch: Interview mit Anne Neumann von FEMNET e.V.“

  1. Ein richtig tolles Interview, das jede Leseminute wert ist! Ich finde besonders den Kegelverein-Vergleich spannend und die Feststellung, dass wir zwar in einer Verbraucherrolle anfangen können – aber dort eigentlich nicht aufhören sollten. Ich bin zurzeit auf der Suche nach dem „richtigen“ Engagement für mich – Femnet ist auf jeden Fall auf der Liste.
    Liebe Grüße!
    Sabine

    1. Liebe Sabine, danke für deinen Kommentar. Hab erst überlegt, das Interview in zwei Teilen zu veröffentlichen, weil es so lang ist. Aber schön, dass sich trotzdem noch LeserInnen finden! Wenn du noch an weiteren gemeinnützigen Organisationen interessiert bist bzw. mehr zu ihrer Arbeit wissen möchtest – let me know. Dann setze ich das gleich mal auf meine Interview-Liste. Liebe Grüße von Nina

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