Upcycling für die Masse: Ein Treffen mit Reet Aus

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Aus alt mach neu. Oder anders gesagt: Aus alt mach besser. Ein Autositzgurt wird zur Tasche, Stoffproben werden zu Hemden und Stoffreste zu T-Shirts. Upcycling ist vielseitig und lässt aus vermeintlichem Müll neue, höherwertige Schätze entstehen. Die estnische Modedesignerin Reet Aus gilt als Upcycling-Pionierin. Mit ihrem Label Aus Design wagt sie nun als weltweit erste industrielle Upcyclerin den Schritt in die Massenproduktion.

Müll häuft sich in der Textil- und Modeindustrie schließlich zu Genüge an: Von 2 Millionen Tonnen weggeworfener Kleidung landen allein in England jedes Jahr 1,2 Millionen Tonnen auf der Mülldeponie. In Schwellen- oder Entwicklungsländern sind es sogar 98% des Textilmülls. Designer müssten nur wissen, wo sie Stoffreste finden können, meint Reet Aus. Die Wissenschaftlerin hat ein Faible für das Vermengen von Recherche und Praxis. So entwickelte sie für ihre Doktorarbeit „Trash To Trend. Using Upcycling in Fashion Design“ in Zusammenarbeit mit großen estnischen Textilunternehmen eine Datenbank, die die Textilmüllproduktion in Estland kartiert. Damit nicht genug. Auf der von Reet gegründeten Internetplattform Trash To Trend haben Unternehmen u.a. die Möglichkeit, ihre Stoffreste an Designer zu verkaufen. „Viele große Unternehmen weigern sich aber, mit Designern zu kollaborieren, da sie erst einmal öffentlich zugeben müssten, dass sie viel zu viel produzieren. Da verbrennt oder schreddert man lieber Kleidungsstücke“, so die Designerin.

Reet Aus beschäftigte sich erstmals 2002 mit Upcycling als Designmethode. In ihren anfänglichen Kollektionen arbeitete sie mit sogenanntem ‚post-consumer waste‘, worunter alles gebündelt wird, was bereits getragen oder benutzt wurde, wie Secondhandkleidung, alte Wohntextilien, entsorgte Militäruniformen oder Kostüme aus dem Theaterfundus. Ihre A/W 2008 „Reet Aus“-Kollektion bestand etwa aus nicht mehr getragenen Jeans, die zu Quadraten dekonstruiert und im Patchwork-Stil neu zusammengesetzt wurden. Um mit größeren Mengen arbeiten zu können, begann Reet ihre Kollektionen aus Produktionsabfällen zu fertigen. Hierbei werden Stoffabfälle geupcycelt, die während des Herstellungsprozesses generiert werden. Ende 2013 wagten Reet und ihr Team schließlich den Schritt in die serielle Produktion. Produziert wird in der Firma Beximco in Bangladesch, die mit der International Labour Organization zusammenarbeitet. Beximco verfügt über ein vertikal integriertes Produktionssystem, wodurch z.B. eigene Abfälle In-House weiter verarbeitet werden können. Aus angesammelten Schnittresten (8-30%), Stoffrollenenden (1-10%) und Überproduktion (3-5%) entstanden schließlich über 25.000 Up-Shirts. Die Ökobilanz ist beeindruckend: Jedes Kleidungsstück spart durchschnittlich 82% an CO2-Emissionen und 91% an Wasser ein und ist zu 100% geupcycelt.

Letzte Woche war Aus Design während der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin im GREENshowroom. Überrascht und etwas ungläubig starrten Reet und ihr Kollege Siim bei unserer Begrüßung auf den schwarzen Pfeil meines T-Shirts (siehe Header-Bild). Es dauert wohl noch eine Weile bis sie sich daran gewöhnen, dass ihr Up-Shirt nun immer mehr Menschen einkleiden wird.

Im Vorfeld des Fashion Week-Trubels sprach pink & green mit Aus Design über ihre Upcycling-Philosophie.

Was ist Upcycling?

Upcycling ist eine Methode, Überreste zurück in die Produktion zu bringen und so die Auswirkungen auf die Umwelt stark zu reduzieren. Es ist die höchste Methode in der Müllhierarchie, weil es am Einfachsten Auswirkungen auf die Umwelt reduziert, ohne zu viele Ressourcen hinzuzufügen.

Welche Art von Müll benutzt ihr für eure Kollektionen, wo findet ihr diesen und gibt es wirklich genügend Abfälle, um als Modelabel wirtschaftlich erfolgreich zu sein?

In den letzten Jahren haben wir nur Industrieabfälle benutzt, weil in der Produktion die größte Menge an Müll entsteht, ungefähr 40 Prozent pro Kleidungsstück. Aber wir haben in der Vergangenheit auch post- und pre-consumer-Abfälle (Anm. d. Red.: Letzteres entsteht durch Überproduktion) geupcycelt. Es gibt mehr als genug Müll in der Welt.

Welchen Herausforderungen stellt man sich im Designprozess als Upcycler? Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit von konventioneller Kollektionsarbeit?

Beim Upcycling beginnt eine Kollektion mit dem Material, was vorhanden ist. Das ist der Hauptunterschied. Das Wichtigste ist also zu wissen, womit man arbeitet, damit man vorab kalkulieren kann, wie viele Stoffteile gebraucht werden, um etwa Hosentaschen zu nähen.

Welchen weiteren umweltfreundlichen und sozial verantwortungsvollen Arbeitspraktiken verschreibt sich Aus Design?

Unser Label erfüllt die komplette Lebenszyklusbilanz (Anm. d. Red.: Die Ökobilanz untersucht die Auswirkungen des Produkts auf die Umwelt, d.h. unter Berücksichtigung der Rohstoffe und Schadstoffemissionen). Beximco, das Unternehmen mit dem wir arbeiten, kooperiert mit der ILO und erfüllt hohe soziale Standards.

Euer letztes Design ist das Up-Shirt. Was ist die Idee dahinter und wie unterscheidet es sich von Euren vorherigen Kollektionen?

Die Idee hinter dem Up-Shirt ist, aus einem einfachen T-Shirt eine geupcycelte Version zu machen. Das T-Shirt ist weltweit eines der meist verkauften Kleidungsstücke, die oft für Merchandisezwecke bei großen Veranstaltungen benutzt werden. Wir arbeiten dieses Jahr mit dem Estonia Song Festival zusammen, die unsere Up-Shirts gekauft haben. Das Festival erwartet mehr als 70.000 Besucher. So können wir gemeinsam einen großen Unterschied bewirken.

Wieviel Einblick habt ihr in die Herstellung? Unter welchen Konditionen arbeiten die Fabrikarbeiter, die eure Kleidung produzieren?

Wie bereits erwähnt ist unser Produktionspartner Beximco. Sobald wir in Produktion gehen, ist immer einer unserer Mitarbeiter vor Ort, so dass wir einen sehr guten Einblick in alle Produktionsebenen bekommen. Wir können sicher gehen, dass die Arbeitskonditionen zu den besten in Bangladesch gehören. Angefangen von den Unterbringungen der Fabrikarbeiter bis hin zu ihren Gehältern.

Das Up-Shirt kostet im Schnitt 24 Euro. Wie könnt ihr die Preise so niedrig halten? Kann grüne Mode wirklich günstig sein?

Das ist das Ding – du musst In-House upcyceln!

Warum produziert ihr nicht in Estland, wo Aus Design seinen Sitz hat?

Das haben wir gemacht und können es wieder tun. Unser Ziel war es, Upcycling in die Massenproduktion zu integrieren, um die Auswirkungen auf die gesamte Textilindustrie zu reduzieren und wie wir alle wissen, gibt es in Europa keine großen Produktionsstätten.

Wo seht ihr euch in drei Jahren?

Unsere Pläne sind groß und das Feedback, was wir bisher bekommen haben, ist fantastisch. Deshalb ist es unser Ziel einen noch größeren Einfluss auf die Modeindustrie zu nehmen. Und hoffentlich sehen die Menschen auf der Welt Upcycling irgendwann nicht mehr nur als Trend an.

Vielen Dank an das Team von Aus Design für die netten Gespräche vor und auf der Fashion Week!

Reet Aus-Designs sind u.a. im Trash To Trend-Onlineshop und im Upcycling Fashion Store in Berlin erhältlich. Weitere Adressen gibt es hier.

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