Nachhaltige Mode: Kate Fletcher und 'the craft of use'

Paradox designed by Anu Corin: Jacke aus weggeworfenen Kassenzetteln. Corin beschäftigt sich in ihrer Kollektion mit folgendem Paradox: Wenn Mode auf Konsum und Wandel basiert, wie kann sie dann nachhaltig sein? Copright: Nina Lorenzen
Paradox designed by Anu Corin: Jacke aus weggeworfenen Kassenzetteln.

Seit über 15 Jahren setzt sich die britische Designaktivistin Kate Fletcher für Nachhaltigkeit in der Mode ein. In der Branche gilt sie für viele als eine der maßgeblichen Mitbegründerinnen der Slow Fashion-Bewegung. Diese Woche sprach Fletcher an der finnischen Aalto Universität in Helsinki über Nachhaltigkeit in der Modeindustrie und appellierte an Designer und Konsumenten.

Nachhaltigkeit folgt keiner einfach abzuarbeitenden Checkliste, so Fletcher. Nachhaltigkeit sei kein bestimmtes Material oder Verarbeitungsverfahren, sondern beginne mit der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Genauer gesagt mit unserer Wahrnehmung dessen, was uns umgibt. Dass Mode einen Anteil an der globalen Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung und Armut trägt, leugnet Fletcher nicht. Im Gegenteil: Sie scheut sich nicht davor zu sagen, dass unser konstant steigendes Konsumverhalten von Kleidung entscheidend zum Klimawandel beiträgt. Schließlich konsumieren wir nicht nur mehr, sondern werfen auch mehr weg, während Hersteller ständig mehr produzieren, um Preise weiterhin tief zu halten. Allein die Briten kaufen pro Jahr mehr als 2 Millionen Tonnen Kleidung ein und im Vereinigten Königreich fiel der Preis von Kleidung in den letzten zehn Jahren gar um ein Viertel. Wir wollen mehr und wir wollen es billig. Mode ist schon lange kein Luxusgut mehr. Die Qualität büßt ein, weshalb Kleidungsstücke häufig gleich mehrmals gekauft werden: Kauf 2, bekomm 1 gratis! Fletcher nennt dieses Phänomen „the shopping mall experience“: Wir können uns nicht mehr vorstellen, was Mode außerhalb von Konsumismus sein kann. Wir stünden hier nicht vor einer technologischen Herausforderung, sondern vor einer sozial-politischen. Fletcher entschuldigt sich während des Seminars oft für dieses negative Bild, welches sie vor den vielen Designstudenten zeichnet. Dennoch hat man das Gefühl, dass Fletcher gerne unangenehm ist. Es ist ihr Job, auf Missstände hinzuweisen und unsere “culture of comfort” ins Wanken zu bringen. Sie ruft Designer und Konsumenten dazu auf, mehr Macht auf die Industrie auszuüben:

[…] The single most important change is that people are actively talking about these issues and are beginning to ask questions about the goals and rules of the industry… what do we want the industry to be? Who do we want it to serve?

– Kate Fletcher, www.treehugger.com

Fletcher unterstützt eine nachhaltige Modeproduktion, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass der Kauf von ökologisch-freundlichen Produkten letztlich auch das Konsumverhalten sowie die Produktions- und Vertriebskosten anhebt. Sie plädiert für „a contingent fashion system dependent on people, time, place and context“. Und genau darum geht es in ihrer mode-ethnografischen Initiative Local Wisdom, ein Forschungsprojekt des Centre for Sustainable Fashion am London College of Fashion. Dieses führt vor, wie man als Konsument seine Modegewohnheiten ändern kann, indem man Kleidung nicht besitzt, sondern benutzt. Das sogenannte the craft of use-Konzept möchte den Akt des Konsumierens aus seiner Passivität herauslösen und Kleidung personalisieren, sie kultiviert, kreativ und kunstvoll benutzen.

The craft of use’s goal is to change our garment-related visions, ideas, habits, skills and stories to be shaped by our capabilities, experiences and achievements as well as our commodities.

craft of use

Local Wisdom bereist die Welt: So zeigen Menschen auf den Straßen von Oslo, Melbourne, Dublin, New York und anderen Städten, was sie tragen. Dabei geht es nicht um Streetstyles, wie man sie aus Modeblogs kennt (à là Top: Alexander Wang, Hose: Topshop, Schuhe: Isabel Marant, Tasche: Marc Jacobs), sondern um die Geschichte, die hinter einem Kleidungsstück steckt und um seine Handhabung. Hierbei entstehen Fotostories, die auf das Blog Local Wisdom eingestellt werden. Die Kategorien reichen von „noch niemals gewaschen“ über „genießt ein drittes, viertes oder fünftes Leben“ bis hin zu „kann verschiedenartig getragen werden“. Es geht also in erster Linie um versteckte Werte von Kleidungsstücken, die nur für den Träger sichtbar sind und für jene, die die Geschichte kennen. Daraus resultieren oft inspirierende Porträts. Kinderpullover, die immer noch getragen werden, einen Rock, den bereits die eigene Großmutter trug, eine handgefertigte Tunika, mehrmals reparierte Lieblingsstiefel. Local Wisdom ist ein Plädoyer für mehr Einfallsreichtum in einer Zeit, in der Menschen modisch immer ähnlicher aussehen, Individualität zumindest äußerlich verloren zu gehen scheint.

Local Wisdom fragt, wie wir Mode gemeinsam sozialer gestalten und so eine ökologische und nachhaltige Denkweise hervorbringen können. Fletcher geht es in ihrer Arbeit nicht um die Demontage der Modeindustrie. Sie erinnert Hersteller und Verbraucher lediglich an ihre Aufgabe, eine sozial-verantwortliche Zukunft zu schaffen.

Kate Fletchers Projekt Local Wisdom – the craft of use inspirierte mich übrigens zu der Kategorie Fashion Post-it’s, in der ich kurze Geschichten zu besonderen Kleidungsstücken poste. Ein guter Selbstversuch, der dazu anleitet, sich mit dem, was man hat, verstärkt auseinanderzusetzen.

Zu Kate Fletcher:

Dr. Kate Fletcher ist Dozentin am Centre for Sustainable Fashion des London College of Fashion. 2010 gründete Fletcher die Slow Fashion Consultancy, ein Unternehmen, das Firmen, Bildungseinrichtungen und NGOs zum Thema Nachhaltigkeit berät und mit ihnen sozial und ökologisch verträgliche Businessstrategien aufstellt. Kate Fletcher ist Autorin zahlreicher Publikationen, darunter Sustainable Fashion and Textiles: Design Journeys und Fashion and Sustainability: Design for Chance.

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